Die Fürsorgeheime in der NS-Zeit waren nicht darauf ausgerichtet, Kinder und Jugendliche zu schützen und in ihren individuellen Fähigkeiten zu fördern, sondern sie „umzuerziehen“. Diejenigen, die sich nach Auffassung der Fürsorger_innen nicht genügend in das System einfügten, wurden dauerhaft weggesperrt oder sogar ermordet. Erziehungsheime, Jugendämter und Jugendgerichte machten regen Gebrauch davon, unbequeme Kinder und Jugendliche aus der eigenen Verantwortung ins KZ abzuschieben.
Auch die Mehrzahl der Uckermarkhäftlinge war zuvor in Fürsorgeeinrichtungen.
Über das weitere Schicksal von Jugendlichen, die sich in staatlicher Fürsorge befanden, entschieden die Gerichte, die Kriminalpolizei oder die Jugendämter unter Berücksichtigung von Berichten und Gutachten der Fürsorgeeinrichtungen. Aufgrund eines Gerichtsbeschlusses konnten Minderjährige unter 20 Jahren, die in ihrer Familie nicht ausreichend versorgt wurden oder die aus verschiedenen Gründen als „gefährdet“, „verwahrlost“ oder deren Familie als „asozial“ stigmatisiert wurden, aus ihrer Familie genommen werden. Sie kamen dann entweder zu einer Pflegefamilie, einem Arbeitgeber oder in eine Fürsorgeeinrichtung. In der Regel wurde der Kontakt zu der Herkunftsfamilie oder anderen Angehörigen unterbunden. So waren die Jugendlichen völlig isoliert von vertrauten Menschen, und ihre Angehörigen wussten teilweise nichts über ihren Verbleib.
Die Jugendlichen, denen eine „Erziehbarkeit“ in Abrede gestellt wurde, wurden bei der Kriminalpolizei als „asoziale“ Personen gemeldet. Der Misserfolg von Erziehungsbemühungen lag den „rassenhygienischen“ Interpretationen zufolge nicht an den Mängeln der Fürsorgeerziehung, sondern an den Kindern und Jugendlichen und deren „biologischer Minderwertigkeit“. Die Polizei entschied daraufhin in enger Zusammenarbeit mit den Fürsorgeeinrichtungen, ob diese jungen Menschen im Jugend-KZ inhaftiert werden sollten. Die zuständige Kriminalpolizei stellte dann beim Reichskriminalpolizeiamt in Berlin einen Antrag auf Überstellung in ein „Jugendschutzlager“.
Die einweisenden Stellen vermischten in ihren Begründungen „rassenhygienische“ Argumentationen mit Verstößen gegen die bürgerlichen Normen, wie Arbeitsethos, Ordnung und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Zudem wurde Mädchen und jungen Frauen oftmals „sexuelle Verwahrlosung“ unterstellt, falls sie den Normen für Frauen nicht in der erwarteten Weise entsprachen.
Ein Großteil der Mädchen und jungen Frauen wurde direkt aus den Fürsorgeeinrichtungen ins KZ Uckermark gebracht. Sie sollten zur Entlastung der Fürsorgeheime kostengünstig und „sicher“ unter Ausnutzung ihrer Arbeitskraft verwahrt werden. Am Beispiel des Ausschnittes aus einem Interview mit Käthe Anders, einer Uckermarküberlebenden, wird aufgezeigt, wie Mädchen und junge Frauen aufgrund ihrer Herkunft und ihres alltäglichen Widerstandes gegen das NS-Regime als „asozial“ stigmatisiert, kriminalisiert und weggesperrt wurden. Käthe Anders kam aus einer armen Wiener Arbeiterfamilie.
...ich hab dann in einer Schokoladenfabrik gearbeitet, [...] Hat meine Mutter gesagt, am besten ist, du suchst dir einen Posten, gehst in Dienst. Bei einem älteren Ehepaar im 1. Bezirk hab ich einen Posten gefunden. Er war Arier, sie war Jüdin. [...] Er war Fachlehrer und hat gesagt, ich lern dir Stenografieren in deiner Freizeit, und Maschinenschreiben, dann brauchst net immer auf Posten gehen [...]. Bei denen ist es mir gut gegangen. Ein halbes Jahr später krieg ich ein Schreiben, einen Brief von der NSDAP oder so, was Offizielles. Ich muss um die und die Zeit dort und dort hinkommen... Wieso ich als deutsches Mädchen bei einer Jüdin arbeit? Aggressiv war ich, jung war ich. Ich bin kein deutsches Mädchen, hab ich gesagt, ich bin eine Wienerin, und ich arbeit dort, weil’s mir gefällt und gut geht! [...] Natürlich war jetzt schon eine Akte über mich angelegt. Hab müssen weg, aber sofort! Nach Hietzing in eine Villa, die die Nazis geraubt hatten. Zu einem deutschen Ehepaar mit fünf Kindern, als Kindermädchen. Man hat nicht dort arbeiten dürfen, wos einem gut gegangen ist, sondern wo die wollten. Hab ich einen Zorn gehabt! Nix wie Windeln waschen, und ich wollte doch was lernen! Dann hat sich noch das Stubenmädchen dort aus unglücklicher Liebe das Leben genommen, da bin ich auf und davon. Bin zu meiner Mutter heim. Wieder hab ich eine Vorladung kriegt. Jetzt hab ich mich bei einer Freundin versteckt. Aber sie haben mich gefunden und in ein Heim gesteckt, im 3. Bezirk in der Juchgasse. Meine Akte war schon angelegt. Ich will nicht arbeiten habens gesagt, ich bin arbeitsscheu.
Da sie sich den Schikanen des Heimalltags nicht stillschweigend unterworfen hat, sondern protestierte, kam sie vor Gericht. Es folgten Inhaftierungen in Fürsorgeheime und ins Gefängnis.
1942 wurde sie in das Konzentrationslager Uckermark eingewiesen.